Episode 02 - Nur fliegen ist schöner!
Der Morgen war friedlich, das Zwitschern der Vögel erfüllte die Luft, während das Licht der aufgehenden Sonne durch die dichten Baumkronen schimmerte. Es war erst der Beginn ihrer Reise, doch Nia und Finn fanden sich bereits jetzt in einer unerwarteten und alles andere als angenehmen Situation wieder. Die beiden hatten sich erst vor wenigen Stunden aufgemacht, um die ersten Schritte ihres Abenteuers zu wagen, als sie unterwegs auf einen jungen Trainer stießen. Der Junge, der sich als Mishu vorstellte, hatte sichtlich aufgelöst gewirkt. Er hatte einen seiner Pokébälle verloren und, in seiner Panik, beide dazu gebracht, ihm ihre Hilfe anzubieten – wenn auch Nia das nicht wirklich mit Freude tat.
Nun stapften sie gemeinsam durch einen dichten Wald, der ihnen völlig fremd war. Die Bäume schienen immer größer und dichter zu werden, und der Weg, den sie entlanggingen, verlor sich allmählich in dichtem Unterholz. Die Vögel, die zuvor noch munter gesungen hatten, verstummten, und das einzige Geräusch, das blieb, war das Knirschen der Blätter unter ihren Schritten.
"Wann kommen wir endlich hier raus?", fragte Nia nach einer Weile mit einem genervten Seufzen. Sie blieb stehen, stemmte die Hände in die Hüften und sah sich um. Die Bäume sahen überall gleich aus, und sie fühlte sich zunehmend unwohl in dieser Umgebung.
Finn, der vor ihr stand und die Karte zu verstehen versuchte, zuckte nur mit den Schultern. Er wusste es selbst nicht, aber es war ihm wichtig, zuversichtlich zu bleiben, auch wenn die Situation alles andere als ideal war. "Ich weiß es nicht," gab er schließlich zu, "aber wir sind hier, um Mishu zu helfen. Wir sollten ihn nicht im Stich lassen." Seine Stimme war ruhig, doch er spürte die Unsicherheit, die sich in seiner Brust zusammenbraute.
"Warum sind wir überhaupt hier?", murmelte Nia. "Es ist seine Schuld, dass er seinen Pokéball verloren hat. Er sollte besser auf seine Sachen aufpassen." Ihre Stimme klang gereizt, und sie trat frustriert gegen einen Ast, der im Weg lag.
Finn versuchte, sie zu beruhigen. Er verstand ihren Ärger, aber er konnte auch Mishus Verzweiflung nachvollziehen. "Sei etwas netter, Nia," bat er leise und suchte ihren Blick. Sie verdrehte jedoch nur die Augen und sagte nichts weiter. Er seufzte innerlich. Es war manchmal schwierig, mit ihrer Sturheit umzugehen.
Mishu, der in einiger Entfernung vorausging, hatte das Gespräch der beiden offenbar gehört. Er blieb abrupt stehen, drehte sich um und funkelte sie wütend an. "Ich habe euch nicht gebeten, mir zu helfen!", sagte er scharf. "Ihr habt es freiwillig getan!" Er klang angespannt, als würde er die Schuld von sich weisen wollen.
Finn warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. "Stimmt," stimmte er zu und versuchte, die Situation zu entschärfen. "Aber wir wollten dir wirklich nur helfen." Mishus Augen funkelten immer noch, aber er drehte sich ohne ein weiteres Wort wieder um und setzte seinen Weg fort.
Nia schnaubte. "Was für eine undankbare Nervensäge," murmelte sie so leise, dass nur Finn es hören konnte. Er konnte ihr nicht widersprechen, aber er versuchte dennoch, ihre negativen Gefühle zu zerstreuen.
Einige Zeit verging, und die Sonne stand inzwischen höher am Himmel. Dennoch schien der Wald nicht weniger düster zu werden. Die Bäume waren hoch und mächtig, und die dichten Blätter ließen kaum Sonnenlicht hindurch. Nia wurde immer ungeduldiger und blieb schließlich erneut stehen. Sie verschränkte die Arme und warf Finn einen genervten Blick zu. "Ich will hier einfach nur wieder raus," sagte sie leise.
Finn sah sie an und lächelte leicht, auch wenn ihm die Situation selbst Unbehagen bereitete. "Das schaffen wir schon, mach dir keine Sorgen," sagte er in einem sanften Ton. Doch in Wirklichkeit fühlte er sich selbst nicht so sicher, wie er es zu vermitteln versuchte. Seine Augen wanderten unwillkürlich zu Nia, und er ertappte sich dabei, wie er dachte, dass sie trotz ihrer Gereiztheit wirklich niedlich aussah.
Nia bemerkte seinen Blick und hob eine Augenbraue. "Finn?", fragte sie skeptisch. Finn schreckte auf, als wäre er aus einem Traum gerissen worden. "Huh? Was?"
Mishu, der das alles beobachtete, konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen. "Trottel," murmelte er und ging weiter voraus.
Finn wollte gerade etwas erwidern, als Nia seine Hand nahm. "Lass es," sagte sie leise, und er spürte, wie sein Gesicht rot anlief. Nia bemerkte dies und runzelte die Stirn. "Bekommst du Fieber?", fragte sie und sah ihn misstrauisch an.
Finn blinzelte verwirrt. "Was?" Nia wiederholte ihre Frage. "Ob du Fieber bekommst? Du siehst so rot aus."
Er schüttelte hastig den Kopf. "N-Nein... warum denkst du das?", stammelte er und versuchte, seine Verlegenheit zu überspielen.
"Weil du plötzlich so rot wirst," erklärte Nia, ohne ihre Augen von ihm abzuwenden. Sie ließ seine Hand los und ging einen Schritt zurück. "Komisch... wir sollten aufpassen, nicht dass du krank wirst."
Finn war erleichtert, dass sie das Thema wechselte, und versuchte, sich wieder zu fassen. Doch er wusste, dass er das Gespräch in eine andere Richtung lenken musste. "H-Hey...", begann er und sah sich hektisch um. "Wo steckt Mishu?" fragte er plötzlich und versuchte, seine Nervosität zu überspielen.
Nia blinzelte überrascht und sah sich ebenfalls um. Mishu war nirgends zu sehen. "Mishu?" rief sie und blickte über ihre Schulter. Die Panik in ihrer Stimme war nicht zu überhören. "Wo ist er hingegangen?", fragte sie besorgt.
Finn versuchte, ruhig zu bleiben. "Er kann nicht weit sein..." Doch auch er spürte, wie die Nervosität in ihm wuchs. Er hasste das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.
Nia biss sich auf die Lippe. "Ich dachte, wir gehen zusammen..." Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sie fühlte sich schuldig, weil sie so auf Finn konzentriert gewesen war, dass sie nicht bemerkt hatte, wie Mishu verschwunden war.
Finn versuchte, sie zu beruhigen. "Sei nicht traurig," sagte er leise. "Wir finden ihn bestimmt." Er war sich jedoch nicht sicher, ob er die Worte mehr zu Nia oder zu sich selbst sagte.
Plötzlich hob Nia eine Hand, um Finn zum Schweigen zu bringen. Ihr Blick wurde aufmerksam, als sie ein leises Geräusch vernahm. Es klang wie ein tiefes Brummen, das durch die Bäume hallte. "Hörst du das?", fragte sie flüsternd.
Finn nickte langsam. "Das hört sich nach..." Seine Augen weiteten sich, als er das Geräusch erkannte. "Bibor?"
Bevor sie reagieren konnten, tauchte ein Schwarm Bibor auf, die mit beängstigender Geschwindigkeit auf sie zuschossen. Ohne zu zögern, warf Finn sich auf Nia, um sie aus der Flugbahn der Pokémon zu bringen. Sie stürzten unsanft zu Boden, während die Bibor über ihre Köpfe hinwegschwirrten und im dichten Wald verschwanden.
Atemlos sah Finn den Bibor hinterher, die in der Ferne verschwanden. "Was wollten die denn?", fragte er verwirrt, als er sich langsam wieder aufrichtete und Nia half, ebenfalls aufzustehen.
Nia schüttelte nur den Kopf und blickte besorgt in die Richtung, aus der die Bibor gekommen waren. "Meinst du, Mishu wird doch nicht...?" Ihre Stimme war leise, voller Sorge und Schuldgefühle.
Finn versuchte, die Situation logisch zu betrachten. "So trottelig ist er nicht..." Doch ein Zweifel blieb in seiner Stimme. "Oder doch?" Er biss sich auf die Lippe, als er sich die Möglichkeit ausmalte.
Nia zögerte nicht länger. Sie machte sich los und rannte los, bevor Finn sie aufhalten konnte. "Wir müssen ihn suchen!" rief sie entschlossen über ihre Schulter.
"Nicht so schnell!" rief Finn ihr hinterher, aber sie hörte nicht auf ihn. Er beeilte sich, ihr zu folgen, auch wenn er das Gefühl hatte, dass sie in etwas hineingerieten, das sie nicht kontrollieren konnten.
Der junge Trainer Mishu hing inzwischen in einer äußerst misslichen Lage. Er hatte sich an einem Ast festgeklammert, der über den Rand einer steilen Klippe ragte. Seine Hände schmerzten bereits, und er konnte spüren, wie seine Kräfte nachließen. "Verdammt...", murmelte er leise, während er vergeblich versuchte, einen seiner Pokébälle zu erreichen.
Nia rannte weiterhin durch den Wald und rief Mishus Namen. "Mishu! Wo bist du?" Doch ihre Stimme wurde von den Bäumen verschluckt, und die Stille des Waldes machte ihre Rufe fast unhörbar.
Finn, der versuchte, mit Nia Schritt zu halten, hielt inne, um zu lauschen. Er konzentrierte sich und versuchte, jegliche Geräusche wahrzunehmen. "Hörst du das?" fragte er Nia, die ebenfalls abrupt stehen blieb.
Sie nickte langsam. "Ja, aber es ist so leise..." Ihre Augen wanderten suchend durch den Wald. Sie wusste nicht, wohin sie gehen sollten, aber sie konnte nicht einfach aufgeben.
Pikachu, das aufmerksam an Finns Seite blieb, zupfte plötzlich an seinem Ärmel und deutete mit seinen kleinen Pfoten in eine Richtung. "Pikachu, Pika Pi CHU!" rief es aufgeregt und zeigte auf den Rand der Klippe.
Finn erkannte, was Pikachu meinte, und nickte entschlossen. "Wir müssen da lang!" rief er, bevor er losrannte. Nia folgte ihm, ohne zu zögern.
Als sie schließlich den Rand der Klippe erreichten, sah Finn nach unten und entdeckte Mishu, der verzweifelt an einem Ast hing. "Hey, was machst du da unten?" rief er erstaunt.
Nia trat neben ihn und schaute ebenfalls in die Tiefe. Mishus Gesicht war schweißgebadet und seine Hände zitterten. "Ich häng hier nur so rum, verstehst du, Typ?" rief er sarkastisch.
Finn seufzte. "Mein Name ist Finn...", murmelte er leise, doch Mishu schien das nicht weiter zu interessieren.
Nia packte Finns Arm, ihre Stimme klang dringend. "Tu etwas!", sagte sie entschlossen, und er wusste, dass er handeln musste.
Er griff nach seinem Pokéball, doch sein Herz sank, als ihm etwas einfiel. "Endivie ist beim Professor...", murmelte er entmutigt. "Vielleicht kann Dartiri helfen, aber Mishu ist zu schwer..." Nia nickte kurz und schloss entschlossen die Augen, als sie tief Luft holte.
"Los, Dartiri, versuch, einen von Mishus Pokébällen zu schnappen!" rief Finn, während er das kleine Vogel-Pokémon freiließ. Dartiri stürzte sich mutig in die Tiefe, um Mishus Pokébälle zu holen. Es dauerte eine Weile, bis es zurückkam und den Ball in Finns Hände legte. Ein Ampharos erschien, doch es war nicht stark genug, um Mishu zu retten. Nia schüttelte den Kopf.
"Das reicht nicht! Versuch es noch einmal!" sagte sie dringend. Dartiri flog erneut hinunter und holte einen weiteren Ball. Dieses Mal erschien Resladero, und Nia atmete erleichtert auf. "Resladero, rette deinen Trainer!" rief sie entschlossen.
Mit kräftigen Flügelschlägen glitt Resladero hinunter und packte Mishu sicher, bevor es ihn langsam wieder nach oben brachte. Mishu keuchte vor Erleichterung, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
Finn ließ sich auf die Knie sinken und atmete tief durch. "Das war knapp...", murmelte er, während er Mishu beobachtete, der sich erschöpft auf den Boden setzte. Nia trat einen Schritt zurück und schloss für einen Moment die Augen, um sich zu beruhigen. Sie spürte, wie das Adrenalin in ihrem Körper langsam nachließ.
Mishu richtete sich schließlich auf, nahm seine Pokébälle und nickte Resladero dankbar zu. Er wandte sich an Nia und Finn, ein Anflug von Schuldgefühlen auf seinem Gesicht. "Danke...", murmelte er leise. Es war das erste Mal, dass er seine Dankbarkeit zeigte.
Nia nickte knapp. "Pass in Zukunft besser auf," sagte sie, ohne den scharfen Tonfall aus ihrer Stimme zu nehmen. Finn legte ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte. "Alles gut. Lass uns weitergehen."
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg, den Wald hinter sich zu lassen. Der dichte Wald lichtete sich schließlich, und in der Ferne konnten sie die Umrisse einer Stadt erkennen. Finn hielt inne und betrachtete die Stadt mit nachdenklichem Blick. "Das muss Frescora sein...", sagte er leise, als ein Gefühl der Erleichterung ihn durchströmte.
Nia nickte zustimmend, während Mishu erleichtert aufatmete. Die drei hatten den Wald durchquert und ihre erste gemeinsame Herausforderung gemeistert. Doch Finn wusste, dass dies nur der Anfang ihrer Reise war, und er konnte nicht anders, als sich zu fragen, welche Abenteuer noch vor ihnen lagen.